Keiner wird weinen by Polina Daschkowa

Keiner wird weinen by Polina Daschkowa

Autor:Polina Daschkowa
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
ISBN: 9783351030544
Herausgeber: Aufbau-Verlag
veröffentlicht: 2006-09-15T00:00:00+00:00


Siebzehntes Kapitel

Anstelle des grauen Mantels trug Wolodja diesmal ein kariertes Cowboyhemd mit hochgekrempelten Ärmeln, auf dem Kopf eine Jeansmütze mit langem Schirm. Außerdem hatte er sich eine runde Brille mit schmalem dunklem Rahmen und Fensterglas gekauft sowie Bart und Schnurrbart in seiner dunkelblonden Haarfarbe. Die altmodische Brille, Schnurrbart und Bärtchen ließen ihn aussehen wie einen wissenschaftlichen Mitarbeiter aus der Provinz. So würden ihn weder der Dicke noch sein Bekannter erkennen, selbst wenn sie ihn früher bemerkt haben sollten.

Heute trafen sie sich wieder auf einer Bank in einem stillen Hof, diesmal in der Nähe der Metrostation Nowoslobodskaja. Woldoja ging ganz dicht heran. Trotzdem konnte er den jungen Mann nicht richtig sehen. Die Abenddämmerung wurde dichter. Er durfte es nicht länger aufschieben. Diese Begegnung konnte die letzte sein.

Wolodja schlenderte langsam an der bewußten Bank vorbei.

»Entschuldigen Sie bitte«, wandte er sich an zwei alte Frauen, die auf dem Weg zu einem Hauseingang waren, »können Sie mir vielleicht sagen, wo hier die Belopolski-Gasse ist?«

Die beiden Alten überlegten fieberhaft und diskutierten, was das für eine Gasse sein könnte.

»Was genau suchen Sie denn dort? Was für eine Institution?«

»Ich suche die Nummer siebzehn. Ich will zu Bekannten.«

»Vielleicht haben Sie die Adresse falsch aufgeschrieben?« fragte eine der Greisinnen mitfühlend.

Sie hatten es nicht eilig und wollten dem verirrten Provinzler aufrichtig helfen. Wolodja hielt ihr einen Zettel mit der Adresse hin, die er am Vorabend erfunden und aufgeschrieben hatte. Während die beiden Frauen die kleinen Buchstaben entzifferten, wandte er vorsichtig den Kopf, um sich das Gesicht von Golowkins Bekanntem anzuschauen. Es lag noch immer im Schatten, doch er konnte immerhin erkennen, wie ein dicker Packen kreuzweise mit Papierstreifen umwickelter Banknoten aus der Hand des Dicken in die Tasche des jungen Mannes wechselte.

»Wenden Sie sich doch an den Milizposten dort an der Ecke, der weiß hier besser Bescheid«, rieten ihm die Omas und verschwanden im Hauseingang, noch immer laut überlegend, wo diese Belopolski-Gasse sein könnte.

Wolodja blieb noch eine Weile stehen und tat, als studiere er die Adresse auf dem Zettel. Dann blickte er sich verwirrt um. Außer den beiden Männern auf der Bank war niemand auf dem Hof. Er wartete noch einen Augenblick, dann ging er entschlossen auf sie zu.

»Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir vielleicht helfen?«

Stahlgraue Augen starrten ihn an. Ihm stockte das Herz. Endlich konnte er das Gesicht sehen. Nun hatte er keinen Zweifel mehr. Der Mann auf der Bank neben Golowkin war Skwosnjak.

Wolodja hatte nicht erwartet, daß er so nervös reagieren würde, und erschrak: Womöglich würde seine Stimme zittern und ihn verraten? Aber das konnte man auf die Verwirrung und Erschöpfung des verirrten Provinzlers schieben.

»Wissen Sie vielleicht zufällig, wo hier in der Nähe die Belopolski-Gasse ist?«

»Wir sind nicht von hier«, knurrte Golowkin und wandte sich ab.

»Entschuldigung«, murmelte Wolodja verwirrt.

Der Hof war ringsum von niedrigen Vorkriegsbauten umschlossen. Ohne sich umzudrehen, überquerte Woldodja den Spielplatz. Von der Bank aus konnte man nicht sehen, wie der Provinztrottel, statt den Hof zu verlassen, in einem Hauseingang verschwand.

Er hatte es furchtbar eilig, ihm zitterten die Hände. Die beiden konnten sich jeden Moment trennen.



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